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lapidarisieren

23 Freitag Jun 2017

Posted by dorotheawagner in alltäglicher Wahnsinn, beliebte Fehler, dummdeutsch, hier hat die Konkurrenz lektoriert, Journalistensprache, mißverständlich, Politik, Sprachmüll, Verblendung, was bleibt

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Andreas Krüger, Bagatelle, bagatellisieren, Burnout-Watcher, Carsten Müller, Erin McAuliffe, Jena, Jenakultur, Jungen, lapidar, lapidarisieren, lapis, Lappalie, Masannek, Matthias H. W. Braun, Neon, Sandard, sexueller Mißbrauch, Stein, Stern, Thüringen, Trauma, verharmlosen

In einem Bericht über die amerikanische Lehrerin Erin McAuliffe, die angeklagt ist, drei minderjährige Schüler sexuell mißbraucht zu haben, konnte man bei Stern/Neon vorgestern ein Interview mit dem Kinder- und Jugend-Psychiater und Traumaexperten Dr. Andreas Krüger lesen. In der Überschrift wird er mit dem Satz zitiert: „Bei Jungen wird sexueller Missbrauch oft lapidarisiert“.

Lapidarisiert? Was soll denn das bedeuten? Lapidar heißt „kurz und knapp“; es kommt von lat. lapis, der Stein (enthalten in Lapislazuli und Lapidarium), und hat etymologisch mit den knappen und präzisen Inschriften auf Steinen zu tun. Meinen tut der Psychiater aber, daß der sexuelle Mißbrauch bei Jungs verharmlost, bagatellisiert wird. Dagegen wollte er wohl behaupten, dies sei gerade keine Lappalie. Zu dem Wort Lappalie (einer spöttischen, latinisierenden Bezeichnung für eine belanglose Angelegenheit, abgeleitet von Lappen im Sinne von Lumpen) gibt es aber kein Verb, da bot es sich an, es mit „bagatellisieren“ zu vermischen.

Ich habe ein bißchen recherchiert; das Wort taucht selten, aber immer wieder mal auf; der bisher erste von mir im Netz gefundene Eintrag ist von Herp de Graaf und datiert vom 27. Juli 2004, 1:28 Uhr:

„kann falsch sein, vorher schon zu „lapidarisieren“,
aber wer weiß das schon, was tatsächlich geschehen wird,
Schrödingers Katze vielleicht…“

Zunächst findet man den Begriff nur in der Privatsprache von Blogs und Kommentaren, in der ja prinzipiell alles erlaubt ist, aber jetzt trifft man zunehmend in Zeitungsartikeln und Büchern darauf.

Hier ein paar Beispiele:

2005, Der Standard:
„Auch darüber erzählt Masannek gern: dass Fußball eine gute Schule (fürs Leben) sei, in der man lernt, ‚unter Druck und ohne Ausreden zu wachsen‘. Viel zu viel werde heute bei Kindern unter dem Motto ‚Macht doch nichts‘ lapidarisiert. ‚Den Kindern macht es schon was aus. Und sie entwickeln, wenn man sie lässt, auch einen gewissen Einfallsreichtum.’“

2011, Matthias H. W. Braun, Burnout-Watcher:
„Eine weit verbreitete Verhaltensweise ist das sogenannte ‚Lapidarisieren‘. Gerade sehr leistungsbereite und leistungsorientierte Menschen tendieren dazu, bereits Erreichtes im nachhinein gedanklich abzuwerten.“

2012, Naika Foroutan, „Wie geht die deutsche Gesellschaft mit Vielfalt um? Das Beispiel Muslime“

Es geht um Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ und darum, daß kritische Reaktionen auf dieses Buch „im Rückblick zu häufig in die Richtung tendierten, dieses Buch nicht als Stimmungsbild einer Gesellschaft zu deuten, sondern als Werk eines sich profilierenden Ex-Politikers zu lapidarisieren.“

Ein großer Fan des Wortes ist Carsten Müller von Jenakultur:
29.12.2015, Thüringische Landeszeitung
„Kultur darf nicht lapidarisiert werden“

In einem Gespräch mit Jenakultur-Chef Carsten Müller über Pläne für die Ernst-Abbe-Bibliothek, eine touristische Neuorientierung Jenas und über Geld heißt es:

„Was mich manchmal zornig macht, ist, wenn Kultur lapidarisiert wird. Kultur ist harte und wichtige Arbeit. Kultur ist ein harter Standortfaktor.“

11.1.2017, Thüringer Allgemeine
„‚Sexismus hat weder im Berufsleben noch in der Freizeit etwas zu suchen‘, sagt Carsten Müller. ‚Bei dem Treffen soll es darum gehen, wie Veranstalter auf dieses Problem noch besser reagieren können. Wir bei Jenakultur als Veranstalter neigen jedenfalls nicht dazu, das Thema Sexismus zu lapidarisieren.'“
Ich habe bisher keinen einzigen sprachkritischen Kommentar zu „lapidarisieren“ gefunden, und es ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis der neue, unsinnige Gebrauch des Wortes Allgemeingut geworden ist und kein Mensch mehr nach dem Stein fragt.

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