Schlagwörter
Christina Aus der Au, Du siehst mich, evangelische Kirche, Evangelischer Kirchentag, Glaube, Glubschaugen, Gottesbild, Hingucker, Infantilisierung, Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, Stefan Wegner, Werbeagentur
Fast vom Rad gefallen bin ich, als ich vor gut einem Jahr um eine Häuserecke bog und plötzlich dieses Plakat vor Augen hatte:
„Du siehst mich“ – wer soll dieses „Du“ sein? Und warum hat das Du oder das Ich – je nachdem, aus welcher Perspektive man es betrachtet – so farblose, ja, leblose Glubschaugen? Solche Augen können doch gar nicht sehen!
Jetzt, zum Evangelischen Kirchentag, sieht man diese Augen auf orangefarbenem Hintergrund auf allen möglichen Werbeträgern in der ganzen Stadt, und ich bin bei diesem Anblick immer wieder bestürzt und erschüttert.
Daß der Erfinder, Stefan Wegner von der Werbeagentur Scholz & Friends, von seiner Idee begeistert ist („Deutlicher kann man den freundlichen Blick, das offene Interesse am Gegenüber nicht darstellen“) und nicht mehr zwischen Fiktion und Wirklichkeit unterscheiden kann („ich freue mich, wenn ich von diesen Augen gesehen werde“), muß nicht weiter verwundern. Wenn aber die Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au die beiden Kulleraugen, die bestenfalls einem Plüschtier gehören könnten, „fröhlich und einladend“ findet, wenn überhaupt ein solches Motiv als Logo für einen Kirchentag gewählt wird, kann man sich fragen, was für ein Gottesbild die evangelische Kirche vermitteln will und wie ernst sie sich und ihre Mitglieder nimmt.
Zugegeben, das Plakat ist ein echter Hingucker – aber geht es nur ums Hingucken? Gläubige wie Nichtgläubige können sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Menschen hier infantilisiert werden und der Glaube lächerlich gemacht wird – und damit wird ein Vorurteil bedient, gegen das die Kirche ohnehin und auch ohne solche Hingucker genug zu kämpfen hat.
Immerhin ist mir an der Gedächtniskirche ein ganz hübsches Photo gelungen.